Na ja, ganz so schlimm war es nun auch wieder nicht, aber doch mußten wir beim Aufenthalt im hochpreisigen und wunderschönen Grandhotel Heiligendamm an den Refrain des Liedes „The New Restaurant“ der US-Folk-Sängerin Malvina Reynolds denken. Die dritte Strophe geht so:
„The décor was a symphony in orange, gold and white
The silver and the crockery would fill you with delight
The menu was a masterpiece, so witty and so bright
But the food was terrible“
UNSER BESUCH
Wir hatten am Abend auf der Terrasse des herrschaftlichen Kurhauses für das Dreigang-Menü zu 59€ entschieden. Ich nahm als Hauptgang „Surf&Turf“, meine Frau das Risotto. Unsere Referenz war das Dreigang-Menü im 4-Sterne-Hotel Upstalsboom im benachbarten Kühlungsborn für 29€, das unsere Erwartungen ganz erfüllt hatte, und waren nun gespannt, wie sich das 5-Sterne-Hotel schlagen würde. Mit dem „Surf&Turf“ war ich so zufrieden wie in Kühlungsborn, meine Frau aber tief enttäuscht vom Risotto. Das war gar kein Risotto, erklärte sie, ohne Butter und Parmesan zubereitet und den Wein am Ende statt am Anfang zugegeben.
Das Frühstück am nächsten Morgen auf der sonnigen Kurhausterrasse war im Prinzip grandios, aber leider waren die Semmeln Aufbackware. Vielleicht war das coronabedingt so, trotzdem aber überraschend für ein 5-Sterne-Haus. Das Mandarin-Oriental in Barcelona und die Villa Kennedy in Frankfurt/M hatten uns dagegen außerdem mit saisonalen Beeren überrascht.
JUNIOR-SUITE
Der Blick auf die Ostsee ist vielleicht nirgendwo großartiger als hier. Es war aber auch der kleine, aber feine Luxus, der einen erfreut: Es gibt eine Tonübertragung des Fernsehers ins Bad. Und der große Badspiegel ist beheizt, beschlägt also nicht.
EINZIGARTIG
Zum Schluß noch eine Beobachtung zur Interaktion des Personals mit den Oberklasse-Gästen, deren Aston Martins und Bentleys die Hotelauffahrt schmücken, und die der Hotelprospekt mit dem Attribut „einzigartig“ beschreibt. Mit dem Vorbehalt einer kleinen Stichprobe war es doch so, daß uns das Personal manchmal ein bißchen unglücklich vorkam. So sollte das freilich nicht sein. Wie schafft es aber eine Bedienung, die gerade von einem Gast wie seine Leibeigene herumgescheucht wird, nicht wie ein gehetztes Reh dreinzuschauen, sondern so zufrieden, als ob sie gerade ein gutes Trinkgeld bekommen hätte? Nun: Durch gute Bezahlung, spezielle Schulungen und halt auch durch gute Trinkgelder. Man vermutet sicher richtig, daß die Gäste hier einfach nicht so großzügig sind wie etwa in Nordamerika.
Zweifellos ist es ein Ritterschlag für die Angestellten in einem Grandhotel an einem so schönen Ort zu arbeiten, aber es ist uns nicht das erste Mal aufgefallen, daß die psychologischen Herausforderungen in diesen eigentlich besonders etikettebewußten Häusern wegen des bisweilen herrischen Habitus ihrer Gäste eben auch besondere sind. Hoch ist etwa die kognitive Dissonanz auf seiten des Personals, wenn z.B. sehr reiche Gäste ihren kleinen Jungs alles durchgehen lassen, die Hotelleitung ihm aber ernste Worte gegenüber den kleinen Paschas untersagt. Dann kommt es schon einmal zur Fraternisierung zwischen einer Bedienung und einem „normalen“ Gast, dem sie ihr Leid klagen kann.
Die Permissivität der Hotelleitung stört in einem weiteren Punkt: Sie erlaubt das Rauchen auf der schönen Kurhaus-Terrasse, abends wie morgens. Sicher ist sie sich des damit geschaffenen moralischen Problems bewußt. Es liegt darin, daß der eine Gast seinen Genuß beim Essen durch Rauchen zu steigern glaubt, der andere aber sein Essen und die frische Luft unbeeinträchtigt genießen will. Da es - zumindest in der westlichen Welt - nur selten zu beobachten ist, daß ein rauchender Gast den fremden Anspruch anerkennt und freiwillig verzichtet, ist die Parteinahme der Hotelleitung für die falsche Seite unerfreulich.
DAS NÄCHSTE MAL
Ob wir wiederkommen? Ja, gewiß, sobald wie möglich, aber nur, wenn dann das Sternerestaurant Friedrich Franz geöffnet hat und sich eine Reservierung in der beliebten Sushi-Bar oder in der Nelson-Bar oder beim Edel-Italiener Medinis an der Strandpromenade arrangieren läßt.
UNSER RAT
Wohldosierte Erwartungen werden diesen wunderbaren Ort strahlen lassen.